Venedig in der Nebensaison – Einen Besuch wert?

Der Ruf Venedigs ist gespalten: Einerseits schwärmen Menschen von der einzigartigen Architektur mit den vielen Kanälen und Brücken und das Flair in dieser besonderen Stadt. Andererseits hat Venedig mit stetigem Verfall und unbändigen Massentourismus zu kämpfen. Deshalb hätten wir einzig um die Stadt zu sehen oder gar für nur ein Wochenende alleine schon aus Nachhaltigkeitsgründen keine Reise nach Venedig gemacht. Nun waren wir aber auf dem Weg von unserem Trip nach Kroatien sowieso an Venedig vorbeigekommen. Da mich die italienische Stadt am Wasser doch brennend interessierte, beschlossen wir, wenigstens einen kleinen Stopp einzulegen. In diesem Artikel erzählen wir dir von unseren Erfahrungen und ob sich ein Abstecher nach Venedig in der Nebensaison lohnt.

Die Geschichte Venedigs

Der ehemalige Reichtum Venedigs ist noch heute in der Architektur der Gebäude stark erkennbar. Es galt einst als Brücke zwischen Ost und West und war aufgrund der außergewöhnlichen Lage am Wasser eine bekannte Handels- und Hafenstadt. In der Blütezeit reichte das Einflussgebiet bis nach Asien. Die Stadt wurde auf rund 150 kleinen Inseln erbaut, welche mit über 400 Brücken miteinander verbunden sind. Erst durch die Entdeckung Amerikas ebbte der Einfluss und die politische Bedeutung Venedigs ab, da sich die Handelsrouten auf den Atlantik verschoben. Das gleiche Schicksal ereilte auch die Hansestadt Stralsund zu dieser Zeit. Eine ebenfalls wunderschöne Hafenstadt in Deutschland. Venedig wurde zunächst vor allem von den Italienern selbst zu Bildungszwecken bereist. Somit wurde die Stadt eine der ersten italienischen Destinationen, die für touristische Zwecke besucht wurde.

Venedig war einst ein mächtiger Handels- und Hafenstandort.
Venedig war einst eine prunkvolle Handelsstadt.

Das Problem mit Venedig

Freute man sich zu Beginn noch über die Einnahmen aus dem Tourismus, so ist genau dieser in den letzten Jahrzehnten zu einem massiven Problem für die Stadt geworden. Jedes Jahr besuchen rund 14 Millionen Menschen die acht Quadratkilometer große Innenstadt und quetschen sich dicht gedrängt durch die engen Gassen und Brücken. Der Verfall ist klar erkennbar: Durch die übermäßige Frequentierung der Kanäle durch Boote und den Wellen werden die Hausfassaden stark beschädigt. Vielerorts ist der Verfall klar zu erkennen, Einheimische müssen sich ihre Stadt mit den unzähligen, teils skrupellosen Touristen teilen, und die Preise in der Stadt sind ebenfalls jenseits von Gut und Böse. Auch die Verlegung der Kreuzfahrtschiff-Terminals schaffte bei den Besucherzahlen kaum Abhilfe.

Sollte man nach Venedig reisen?

Wenn man das so liest, stellt sich die Frage, ob man durch seinen Besuch der Stadt nicht eher schadet, als ihr zu helfen. Seit 2024 wird nun testweise periodisch und an Wochenenden bis Juli eine Eintrittsgebühr von 5,00 € pro Besucher erhoben. Davon ausgenommen sind Übernachtungsgäste, Studierende und Kinder. Es ist ein kleiner Wehmutstropfen, denn es löst das Problem des Overtourism nicht wirklich. Sinnvoller wären wahrscheinlich Regularien und eine ordentliche Besucherlenkung, wie es beispielsweise am berühmten Machu Picchu in Peru mittlerweile gemacht wird. Dennoch kann das Geld der Stadt zugute kommen und in Instandhaltung und Infrastruktur investiert werden. Ab 2025 soll die Gebühr dann dauerhaft eingeführt werden.

Wir haben uns im Vorfeld auch die Frage gestellt, ob wir Venedig besuchen wollen oder nicht. Auf Menschenmassen hatten wir jedoch keine Lust. Auf der Rückfahrt von unserer Kroatien-Reise schickte uns das Navi dann schließlich an Venedig vorbei. Es war Anfang Oktober und die Hauptsaison war gerade vorüber. Und so beschlossen wir, uns ein eigenes Bild von der Stadt zu machen und wenigstens einen kleinen Stopp im Morgengrauen einzulegen. Im folgenden werde ich auf unsere Erlebnisse in Venedig eingehen. Solltest du dich nur für die Frage interessieren, ob sich ein Besuch von Venedig in der Nebensaison lohnt, findest du unten mein Fazit.

Venedig zum Sonnenaufgang

Sonnenaufgang in Venedig

Unser Wecker klingelte um 5:45 Uhr morgens. Ich blinzelte müde aus dem Fenster und verfluchte mich dafür, freiwillig so früh aufzustehen. Leichter Nebel hatte sich über den Parkplatz gelegt, auf dem wir im Auto übernachtet hatten. Von hier waren es noch 15 min Autofahrt bis nach Venedig. Die Innenstadt ist autofrei. Man muss sein Auto also vor den Toren der Stadt in einem der Parkhäuser oder auf einem Parkplatz abstellen. Es war noch dunkel, als wir auf einem der wenigen Parkplätze mit Stundentarif eintrafen. Nach einem zwanzigminütigen Fußweg erreichen wir die erste Brücke der Stadt. Es war kaum etwas los. Vereinzelt trafen wir hier und da auf ein paar Einheimische, die sich auf den Weg zur Arbeit machten, aber sonst waren die dunklen Gassen menschenleer, das Wasser in den Kanälen ruhig. Unser Ziel war es, zum Sonnenaufgang am Markusplatz (Piazza San Marco) zu sein. Wir hatten allerdings völlig unterschätzt, wie weitläufig die Altstadt von Venedig ist! Während sich der Himmel über uns langsam rosa färbte, beschleunigten wir unser Vorhaben mit jedem Schritt etwas mehr, bis wir irgendwann von Brücke zu Brücke hechteten.

Rialtobrücke

Auf dem Weg in Richtung Wasser sind wir an der berühmten Rialtobrücke (Ponte di Rialto) vorbeigekommen. Die Fußgängerbrücke führt über den Grand Canal und ist zur Mittagszeit meist völlig überfüllt. Im Morgengrauen sind zwar alle Geschäfte geschlossen, aber dafür hat man einen Anblick auf die noch schlafende Stadt ohne Menschenmassen.

Die Rialtobrücke ist eine beliebte Sehenswürdigkeit in Venedig

Piazza San Marco

Pünktlich, aber schweißgebadet kamen wir nach einem 45 minütigen Fußmarsch an der Piazza San Marco an.

»Boa, ist das schön hier!«

Der Anblick auf die Gebäude um den Platz herum, den Markusdom (Basilica di San Marco) den Dogenpalast (Palazzo Ducale) und das im Sonnenlicht goldschimmernde Wasser ließ mich sofort all die Strapazen vergessen. Wir teilten uns die Promenade am Ufer lediglich mit ein paar weiteren Fotografen, Brautpaaren und ein paar Reisebloggern.

Die Einheimischen begannen nach und nach, ihre Stände für den Tag vorzubereiten. Hier und da wurde vor den Läden gekehrt und die Stühle zurechtgerückt. Es war wie die Ruhe vor dem Sturm. Aber diese hatte etwas Magisches. Ein Venedig, wie ich es nicht erwartet hatte.

San Marcos in Venedig im Sonnenaufgang

Die Seufzerbrücke

Wir liefen noch etwas weiter am Ufer entlang und blieben auf der Ponte della Paglia stehen. Ein Brautpaar machte gerade Hochzeitsfotos, und wir betrachteten eine geschlossene Brücke, die sich über einen der Kanäle schwang. »Diese Brücke nennt man auch Seufzerbrücke«, hören wir einen älteren Herrn sagen. Eine kleine Gruppe Touristen stellte sich neben uns, und wir folgten den Erzählungen des Guides. »Hier konnten die Gefangenen noch einen letzten Blick auf die Freiheit werfen, bevor es für sie auf die andere Seite ins Gefängnis ging.« Benannt wurde sie nach den Seufzern der Gefangenen, die sie beim Blick nach draussen von sich gegeben haben sollen.

Die Seufzerbrücke offenbarte einen letzten Blick in Freiheit.
Über diese Brücke mussten die Gefangenen gehen.

Venedig im Nebel

Häufig kommt es vor, dass Venedig komplett im Nebel versinkt. Wir konnten richtig beobachten, wie kurz nach dem Sonnenuntergang eine dichte Nebelwand vom Meer auf uns zusteuerte und sich über die Gassen legte. Die schimmernden, strahlenden Hausfassaden wirkten plötzlich mystisch und verträumt. Wir schlenderten durch die Gassen und genossen es, die vielen Brücken und kleinen Wege beinahe für uns alleine zu haben. Die Gerüche waren ganz unterschiedlich: Mal roch es nach frischem Kaffee, mal nach Croissants, und manchmal stieg der Geruch von Pizza in unsere Nasen.

Bruecke in Venedig

Café-Tipp in Venedig

Nachdem wir circa zwei Stunden durch die Altstadt spaziert waren, stellte sich langsam Hunger ein. Also taten wir es den Einheimischen gleich und ließen uns in der Milan Bar in einer Seitengasse nieder. Wir tranken einen Cappuccino und schrieben ein paar Postkarten, während neben uns ein Künstler den kleinen Platz, auf dem wir saßen, in seinem Skizzenblock verewigte. Nur Gelegentlich verirrten sich ein paar Touristen an den Platz, es herrschte ein entspanntes, herrlich-italienisches Flair. »So schlimm ist es ja gar nicht«, stellte ich fest.

Dann kamen die Massen

Kaum hatte ich es ausgesprochen, bogen wir um die Ecke und sahen sie: die Menschenmassen. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits 10:00 Uhr. Die Passagiere der Kreuzfahrtschiffe schienen angekommen zu sein und strömten nun in Scharen in die Stadt. Binnen kurzer Zeit war das ruhige und mystische Venedig, dass ich vor einigen Stunden kennengelernt hatte, einer hektischen und überfüllten Stadt gewichen.

Despar Teatro

Dann entdeckten wir zwischen den Massen in einer der Hauptgassen aber doch noch etwas Tolles: Am Campiello de l’Anconeta befindet sich ein Supermarkt in einem alten italienischen Theater. Ein wirklich tolles und einzigartiges Interior mit hohen Decken. Die Innendekoration, sowie die alte Bühne und die Fresken sind noch immer komplett oder zum Teil erhalten geblieben. Allerdings herrscht hier striktes Fotoverbot. Schließlich ist es wirklich ein normaler Supermarkt und keine Sehenswürdigkeit. Wir nutzten die Möglichkeit das Gebäude von innen zu bestaunen und deckten uns mit ein paar italienischen Nudeln und Souvenirs ein.

Venedig abseits der Touristenströme: Cannaregio

Geschockt von den Menschenmassen flüchteten wir zunächst nach Cannaregio. Das Viertel wird auch als jüdisches Ghetto bezeichnet, da es vom 16. bis 18. Jahrhundert zum Schutz der Juden eine vom Rest der Stadt abgetrennte Wohngegend war. Tatsächlich hat der Name aber mit einem heutigen Ghetto gar nichts gemein, denn man vermutet den Ursprung eher aus dem italienischen Wort Geto für Gießerei. Wer das Venedig abseits der Touristenströme genießen möchte, ist hier genau richtig. Hier fanden wir noch leere Gassen, hübsche Brücken und tolle kleine Läden mit dekorierten Schaufenstern.

Wir schlenderten noch etwas durch das Viertel und entschieden uns dann aber gegen 11:00 Uhr, Venedig den Rücken zu kehren. Ich war echt wehmütig. Zum einen kann ich nachvollziehen, dass Menschen (so wie wir auch) diese besondere Stadt einmal sehen möchten. Das ist ihr gutes Recht. Ich hoffe aber wirklich sehr, dass man bald eine Lösung finden wird, wie man den Touristenstrom lenken und regulieren kann. Damit dieser wertvolle Schatz im Nordosten Italiens noch lange erhalten bleibt.

Fazit: Lohnt sich Venedig in der Nebensaison?

Venedig ist optisch eine wunderschöne Stadt mit tollen historischen Gebäuden und hübschen Hausfassaden. Für mich war der Stopp in Venedig wichtig, um mir ein eigenes Bild von der Stadt machen zu können. Ich kann durchaus verstehen, dass die Meinungen hier auseinandergehen. Venedig ist ein gutes Beispiel dafür, wie Reisen sensibilisieren kann, denn die Probleme sind hier für jeden klar ersichtlich.

Deshalb möchte ich nochmal betonen: Die schönen Fotos, die man von Venedig sieht, sind alle meist früh morgens entstanden, wenn die Straßen noch gekehrt und die Stühle in den Gassen platziert werden. Wenn die Müllabfuhr ihre Runden auf dem Wasser dreht und die Säcke einsammelt, und die Stadt ihre letzten ruhigen Minuten genießt. Sie spiegeln aber nicht das wieder, was für die vielen täglichen Besucher in Venedig Realität ist.

Venedig zum Sonnenaufgang
Solche Bilder entstehen morgens, bevor alle Touristen kommen.

Im Nachhinein bin ich mir nicht mal sicher, ob es in Venedig wirklich so etwas wie eine Nebensaison gibt. Denn auch bei unserem Besuch im Oktober waren die Gassen ab 10:00 Uhr prallgefüllt. Ich möchte nicht wissen, wie es dort an Wochenenden oder in den Ferien sein muss. Einen Trip oder eine Reise, einzig um Venedig zu sehen, kann ich nicht empfehlen. Auch eine Kreuzfahrt mit Stopp in Venedig sehe ich als äußerst problematisch an, da die Stadt dadurch in kurzer Zeit von (zu) vielen Besuchern heimgesucht wird, für die es in der Stadt einfach keine Kapazitäten gibt.

Sollte es aber auf dem Weg liegen, finde ich dennoch, dass sich ein Abstecher nach Venedig auf jeden Fall lohnt. Allerdings nur in den Morgenstunden, wenn man so wie wir noch vor Sonnenaufgang in die Stadt kommt. So ist es auch nicht schlimm, wenn man Venedig gegen Mittag wieder verlässt und den restlichen Tag in einer anderen Stadt, beispielsweise Verona verbringt. So haben wir es gemacht.

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Falls du einen Roadtrip durch Norditalien planst und auf der Suche nach weiteren sehenswerten Orten bist, dann empfehle ich dir diesen Artikel.

2 comments

  1. Ich bin ein begeisterter Fan von Venedig und kann es ausschließlich zur Wintersaison empfehlen. Also ich war mal eine ganze Woche im Dezember zu Besuch und habe direkt in Venedig gewohnt und ein anderes Mal Anfang März, da bin ich auf die Insel Sant’Erasmo ausgewichen. Es gibt immer noch genügend Ecken, die Touristen nicht besuchen, weil sie sich eben nur einen einzigen Tag Zeit nehmen für diese wunderschöne Stadt. Das Eintrittsgeld wird das Problem Overtourism meiner Meinung nach nicht lösen, noch dazu wo man nicht weiß, wo das Geld genau landet…
    Wunderschöne Fotos hast Du übrigens gemacht!

  2. Ich muss dir da völlig widersprechen – als jemand, die mehrfach in Venedig war.  Meiner Meinung nach hast du hier einen sehr häufigen und ganz gewöhnlichen Denkfehler, den auch viele Besucher von Florenz machen:

    Die Stadt ist sehr touristisch und überlaufen – ich fahr deshalb mal nur kurz vorbei, um sie mir anzuschauen – bei dem kurzen Besuch geht naturgemäß alles recht kurz und knapp zu, viel Zeit hat man nicht und man klappert v.a. genau die Orte ab, wo viel los ist. Man kommt ja meist nicht weit – Schlussfolgerung: das alles ist so überlaufen. Gut, dass ich nicht länger da war. Ich rate allen mal,  höchstens kurz vorbeizuschauen…

    Meiner Erfahrung nach ist es genau anders rum: je überlaufener die Stadt, desto mehr Zeit sollte man sich lassen. Dann kommt man ganz automatisch von den neuralgischen Punkten weg. Und kann die Stadt entspannter und ganz anders erleben. Und obendrein partizipiert man auch nicht am Hop on-hop off-Tourismus, der der Stadt so schadet.

    Für Venedig würde ich mindestens drei bis vier Tage zwischen Mitte Oktober und vor Ostern (nicht am Karneval) empfehlen.
    Ich habe übrigens ziemlich viele Fotos von leeren Gassen tagsüber aufgenommen. Nur halt nicht an der Hauptmeile, wo ihr wart.

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