Divemaster-Ausbildung auf Koh Tao: Vom Angsthasen zum Profi

Ich war 2,5 Monate auf Koh Tao, um dort meine Ausbildung zum Divemaster zu machen. Ich sag’s euch, wie es ist: Die Zeit auf dieser Insel war eine der intensivsten, herausforderndsten und schönsten Zeiten meines Lebens. Nirgends bin ich in so kurzer Zeit so sehr über mich hinausgewachsen wie dort. Was genau ich erlebt habe und wie die 2,5 Monate lange Divemaster-Ausbildung auf Koh Tao abgelaufen sind, erfährst du in diesem Artikel.

Ich hatte es getan. Ich hatte meinen Namen neben Milly’s auf das Board mit den Divemaster-Kandidaten geschrieben und damit den Beginn meiner Divemaster-Ausbildung auf Koh Tao besiegelt. In den folgenden Wochen würde ich die erste Stufe des professionellen Tauchens erklimmen und Koh Tao mein Zuhause nennen. Ich würde all die kleinen Details über das Tauchen lernen und mich somit sicherer Unterwasser fühlen. Was ich an diesem Tag noch nicht wusste: Ich würde während der Ausbildung so viel mehr über mich selbst erfahren, als über das Tauchen.

Das berühmte Divemaster-Board
Das Divemaster-Board

Es war für mich nicht nur die erste Solo-Reise jemals, sondern ich befand mich auch absolut außerhalb meiner Komfortzone. Die war so weit von mir und dieser kleinen thailändischen Insel entfernt, dass sie vermutlich gerade daheim auf dem Sofa saß, Tee trank und die Stirn runzelte: »Wirklich? Ein Divemaster Kurs? DU?!«

Theorie und Praxis

Ehe ich mich versah, saß ich gemeinsam mit Milly im Restaurant der Tauchschule, um mit Tauchlehrerin Maria den theoretischen Teil der Divemaster-Ausbildung durchzugehen. Dieser fand immer morgens statt. Am Nachmittag ging es raus aufs Meer, wo wir die Skills in die Praxis umsetzen konnten.

Unterwasserwelt vor Koh Tao

Von Knotentechniken und Gruppenführung bis hin zu Such- und Bergungsmethoden – über mehrere Wochen hinweg lernten wir jeden Tag neue, nützliche Dinge über den Tauchsport und wie man sie anwendet. Manche Übungen und Tests machten wir auch nur im Pool, wie den Schwimmtest, den Skill Circuit oder den Stresstest.

Der Stresstest gehört zur Divemaster-Ausbildung dazu
Übung im Pool

Von Fremden zu Freunden

In einem anderen Artikel habe ich ja schon von meinen Anfängen als Taucherin und meinem Rescue-Kurs auf Koh Tao berichtet. Und davon, wie ich Milly und Hannes kennenlernte. Kurzer Einschub: Milly war mein Divebuddy, meine Leidensgenossin, quasi meine inoffizielle Schwester auf Zeit. Wir hatten nicht nur zufällig jahrelang in der gleichen Stadt gelebt, ohne uns je zu begegnen, wir hatten beide auch ähnlich viel emotionales Gepäck mit auf die Insel geschleppt. Es war fast unheimlich, wie vertraut sie mir vorkam. Hannes ist bereits Divemaster und hatte bei unserem Rescue Kurs das Opfer gespielt, das es zu retten galt.

Als wir mit unserem Divemaster starteten, bestand die Gruppe der Trainees fast ausschließlich aus Mädels. Später kamen noch ein paar männliche Mitstreiter dazu. In nur wenigen Wochen waren wir alle zu einer großen Einheit zusammengewachsen. Ich bekam schnell das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. Einer Familie.

Das Divemaster-Team
Das Divemaster-Team

Wenn wir mal nicht tauchten (was dank etlicher Krankheiten gar nicht so selten vorkam – dazu aber gleich mehr), trafen wir uns auf bunten Plastikstühlen am Straßenrand zum Fried Rice, brüllten bei Karaoke-Nächten in fragwürdiger Tonlage unsere Lieblingssongs ins Mikrofon oder traten beim wöchentlichen Pub-Quiz gegeneinander an.

Vor allem Milly und Hannes wurden mit der Zeit zu meinem engsten Kreis. Es verging kaum ein Tag, an dem wir nicht irgendwo gemeinsam saßen und uns anschließend einen Roti an unserem Lieblingsstand gönnten. Irgendwann fiel es mir gar nicht mehr auf, dass ich allein unterwegs war. Das Gefühl vom Fremdsein war zwischen all den Tauchgängen und einer durchzechten Nacht im Club verloren gegangen.

An freien Tagen durften wir mit aufs Tauchboot. Obwohl es mitten in der Regenzeit war und die Visibilty rund um Koh Tao wirklich zu wünschen übrig ließ, nutzten Milly, Hannes und ich jede Chance, um gemeinsam Tauchen zu gehen.

Der Skill Circuit

Alle zwei Wochen machten wir einen Skill Circuit im Pool. Es gibt 24 spezifische Tauchfertigkeiten, die am Ende der Divemaster-Ausbildung beherrscht und demonstriert werden müssen. Dazu zählen einfachere Dinge wie der korrekte Aufbau des Equipments oder der Sprung ins Wasser, aber auch anspruchsvollere Skills wie die Tauchjacke samt Flasche Unterwasser aus- und wieder anzuziehen oder das Tauchen ohne Maske. Letzteres war für mich das Allerschlimmste. Ich hasste das Gefühl, wenn die Blasen aus meinem Atemgerät mein Gesicht streiften und ich blind wie ein Maulwurf war. Über die Angst, Unterwasser meine Maske auszuziehen, hatte ich ja in meinem ersten Artikel Tauchschein trotz Angst schon ausführlich geschrieben.

Koh Tao tut uns nicht gut

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mit dem Divemaster in wenigen Wochen durch zu sein. Aber die Rechnung hatte ich ohne Koh Tao gemacht. Aus Erfahrung kann ich heute sagen: Möchtest du mal so richtig krank werden, geh nach Koh Tao. Was auf dieser Insel an Viren und Bakterien rumgeht ist nicht mehr normal. Den Anfang machte bereits meine verlorene Stimme in der ersten Woche, wegen der ich den Rescue Kurs verschieben musste.

Nach drei Wochen durfte ich Tobi vom Pier abholen – komplett verkatert von der letzten Partynacht mit Hannes und Milly. Mir war so übel, dass es mir schon unangenehm war. »Willkommen in den 30ern«, dachte ich mir. Verwundert darüber, WIE schlecht es mir ging. So viel hatte ich dann schließlich auch wieder nicht gebechert.

Ich merkte aber schnell, dass es nicht am Alkohol lag. Meine Euphorie über das Wiedersehen mit Tobi musste warten, ebenso wie die nächsten Dives, denn ich hatte mich doch tatsächlich mit dem Norovirus angesteckt. Milly teilte mein Pech. Als ich wieder gesund war, traf es sie. Und wieder umgekehrt. Dann erwischte es Tobi. Es war wie verhext. Immer wieder musste eine von uns die Divemaster Ausbildung unterbrechen. Wir versuchten darüber zu lachen, scherzten, dass Koh Tao uns nicht gut täte, obwohl uns allen zum heulen zu Mute war.

Koh Tao Aussicht
Aussicht auf Koh Tao

Koh Tao im Stillstand

Das i-Tüpfelchen war eine Jahrhundertflut, die dafür sorgte, dass wir unsere Bungalows kurzzeitig sogar aufgeben- und in ein Hotelzimmer unserer Tauchschule ziehen mussten. Tobi arbeitete als Divemaster und war gerade auf einem Morgentauchgang, als ich von seltsamen Geräuschen geweckt wurde.

»Der Regen ist aber laut«, dachte ich und öffnete die Tür meines Bungalows. Erschrocken stellte ich fest, dass aus dem kleinen Bach unserer Bungalowanlage ein reißender Fluss geworden war, dem nur noch wenige Zentimeter fehlten, bis er mein Zimmer komplett flutete. Die Flut – ausgelöst durch starken Dauerregen – hatte es in sich: Die ganze Insel war ohne Strom, Menschen mussten ihre Häuser verlassen, Tiere wurden vermisst. Es war das erste mal seit mehr als 10 Jahren, dass alle Tauchgänge auf der Insel abgesagt wurden. Koh Tao im Stillstand. Einzig das Restaurant unserer Tauchschule hatte geöffnet und wurde durch Generatoren aufrechterhalten. Wir machten es uns dort gemütlich, tranken Kakao und spielten einen Nachmittag lang Karten. Die Hauptstraße des Ortes Sairee stand danach noch tagelang Unterwasser.

Der Stresstest

Dann kam der Tag, der alles veränderte. Der Equipment-Tausch, besser bekannt als „Stresstest“. Das Ziel ist es, den oder die Tauchschüler:in in eine Stresssituation zu bringen, die es zu bewältigen gilt. Für mich war der Name Programm. In Zweier-Teams mussten wir Unterwasser unser komplettes Equipment tauschen, ohne dabei den Boden oder die Oberfläche zu berühren. Flossen, Jacke mit Tauchflasche und natürlich mein Endgegner: Die Maske.

Allein das Ausziehen der Maske Unterwasser war für mich ja schon ein Stresstest für sich. Doch als wäre das nicht schon genug, sollten wir uns den kompletten Zeitraum über nur ein Atemgerät teilen. Ich würde also zeitweise nicht nur keine Maske anhaben, sondern auch keine Luft atmen können. Uff, was für ein Albtraum! Aber mir blieb nichts anderes übrig, als es zu versuchen.

Wir tauchten ab und begannen mit dem Test. Ich stellte mich zu meiner eigenen Verwunderung echt gut an. Jacke und Flossen waren binnen weniger Minuten getauscht, und auch das abwechseln des Atemreglers fiel mir leichter als gedacht.

Dann zog mein Tauchlehrer seine Maske aus und hielt sie mir hin.

»Oh nein.«

Ich starrte ihn wie angewurzelt an.

»Jess, zieh deine Maske aus«, sagte meine innere Stimme.

Ich atmete zwei Züge und gab meinem Tauchlehrer das Mundstück des Atemgerätes.

»Jetzt!«, rief die Stimme nun etwas lauter.

Ich legte meine Hand an meine Maske und erstarrte erneut. Ich bekam das Mundstück zurück.

Mein Tauchlehrer sah mich erwartungsvoll an und hielt mir noch immer seine Maske hin.

»Komm Jess, nur eine Sekunde. Du musst nur für eine Sekunde deine Maske ausziehen!« Meine innere Stimme schrie mich an.

Aber ich schaffte es nicht.

Mein Tauchlehrer schüttelte enttäuscht den Kopf, brach den Test ab und schwamm zurück zur Oberfläche.

»Wie soll man dich jemals zertifizieren, wenn du es nicht einmal schaffst, deine Maske auszuziehen?«, brüllte er mich an.

»Ich… Entschuldigung, es ist nur…«, ich merkte, wie ich in Tränen ausbrach, noch bevor ich den Satz zu einem Ende bringen konnte.

»Wie kommst du darauf, die Divemaster-Ausbildung zu machen?«, fragte er noch immer wutentbrannt.

Ja, warum eigentlich?

Warum ich die Divemaster-Ausbildung machen wollte

Viele Taucher und Taucherinnen machen die Ausbildung zum Divemaster, um anschließend in der Tauchindustrie zu arbeiten oder um im Anschluss einen Tauchlehrerschein zu absolvieren.

Ich hingegen hatte nie vor, als Divemaster zu arbeiten. Warum also über 1.000 € ausgeben und jeden Tag der puren Angst ins Auge blicken, wenn ich stattdessen auch einfach mit einer Kokosnuss am Strand hätte liegen könnte?

Für mich war es eben genau das: Die Entscheidung, meine Angst zu besiegen und sicherer Tauchen zu können. Zu wissen, was im Ernstfall zu tun ist und alle Einzelheiten über den Tauchsport zu lernen. Denn nur wenn ich genau weiß, was ich da Unterwasser tue und wie alles funktioniert und zusammenhängt, fühle ich mich sicher.

Ich liebe die Unterwasserwelt, ich liebe das Gefühl der Schwerelosigkeit. Ich liebe diese Ruhe, die bunten Farben, die Fische, im hier und jetzt zu sein. In meinem Kopf herrscht 24/7 Dauerbeschallung. Der Meeresgrund ist der einzige Ort, an dem mein Gehirn loslässt. Kein Yoga, kein Whirlpool und kein Strand dieser Welt hat das bisher geschafft. Tauchen ist für mich Meditation. Heilung. Jeder Tauchgang führt mich ein Stück näher zu mir selbst. Wie poetisch das auch immer klingen mag, aber jeder, der gerne taucht, hat zumindest eine leichte Ahnung, wovon ich spreche.

Jess beim Tauchen
Beim Tauchen schaltet mein Gehirn auf Reset

Wie ich das Maskenproblem endlich löste

Das Durchfallen beim Stress-Test konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Schon gar nicht wollte ich noch einmal so von meinem Tauchlehrer so angeschrien werden. »Jetzt erst recht«, dachte ich mir.

An einem freien Samstag schnappte ich mir Tobi und mein Equipment und sprang in den Pool, um den Maskenskill zu üben. Dabei lösten wir zunächst erstmal das Grundproblem: Meine irrationale Angst vor dem unangenehmen Gefühl, Wasser ins Gesicht zu bekommen.

Wir verbrachten mehrere Stunden (!) in diesem Pool, bis ich das erste Mal meine Maske auszog, ohne direkt wieder an die Oberfläche zu stürmen. Und wisst ihr, mit welchem blöden, einfachen Trick ich es letztendlich hinbekam? Ich öffnete einfach die Augen. Wow, oder?

Phase 2: Assistieren von Tauchkursen

Der erste Kurs

Hat man alle Module des Divemasterkurses soweit abgeschlossen, darf man mit dem Assistieren beginnen. Man hilft erfahrenen Tauchlehrern und -Lehrerinnen bei der Durchführung ihrer Kurse – vom Open Water bis zum Rescue – und ist ebenso Ansprechpartner für die Schüler und Schülerinnen.

Mein erster Kurs war gleich ein Sprung ins kalte Wasser. Ein voller Open-Water-Kurs mit 14 Schülern. Weil es so viele waren, durfte ich sofort richtig mit anpacken. War ich zuvor noch tierisch aufgeregt gewesen, löste sich die Nervosität sofort in Luft auf, als ich mit der Gruppe zusammen ins Wasser sprang. Unter ihnen befand sich eine junge Frau, die sichtlich Probleme mit den Übungen hatte. Weil sie mehr Zeit und Aufmerksamkeit brauchte, wurde ich ihr zugewiesen, um die Skills mit ihr gesondert durchzugehen. Das bedeutete auch, dass ich den Maskenskill einwandfrei demonstrieren musste, ohne dabei selbst in Panik auszubrechen.

Ich erinnerte mich an meine Übungen mit Tobi im Pool, nahm meine Maske ab und setzte sie wieder auf. Als hätte ich nie etwas anderes getan! Ich hab’s einfach gemacht!

Damit war der Groschen gefallen. Klar war ich noch immer nervös, wenn ich aufgefordert wurde meine Maske auszuziehen (was während der Ausbildung unzählige Male vorkam), aber es war längst kein Weltuntergang mehr. Ich konnte es kaum erwarten, den Stresstest erneut zu machen und das Gesicht meines cholerischen Tauchlehrers zu sehen.

Bereichernde Arbeit als Divemaster

So assistierte ich schließlich 3 OWD, 3 AWD und einen Rescue Kurs. Manche Kurse durfte ich gemeinsam mit Milly assistieren, und andere machte ich allein.

Wie schon erwähnt wollte ich die Divemaster-Ausbildung ursprünglich nur absolvieren, um als Taucherin mehr Sicherheit zu gewinnen und weitere Erfahrungen zu sammeln. Doch schon beim ersten Assistieren wurde mir klar, wie unglaublich bereichernd und erfüllend die Arbeit als Divemaster sein kann.

Obwohl ich mich selbst stets als eher nervöse Taucherin wahrgenommen hatte, vermittelten mir die Rückmeldungen der Schüler:innen ein völlig anderes Bild: Sie bedankten sich für meine ruhige Ausstrahlung unter Wasser, erzählten, dass meine Begeisterung fürs Tauchen ansteckend sei, und lobten meine Arbeit. Ich liebte es, Skills Unterwasser zu zeigen und bei Problemen zu helfen. Und plötzlich ertappte ich mich dabei, wie in mir der Gedanke reifte, doch den Tauchlehrerschein zu machen.

Im Klassenzimmer
Im Klassenzimmer

Dann kam Cholera

»Cholera? Ernsthaft?«

Diese Frage bekomme ich oft gestellt, wenn ich erzähle, dass ich es auf Koh Tao tatsächlich geschafft hatte, mir Cholera einzufangen. Okay zugegeben, einen genauen Test hielt die Ärztin für unnötig – schließlich war das Outcome bei allen bakteriellen Infektionen das gleiche: Durchfall, dass sich die Balken biegen, Schwäche, Dehydrierung, bla bla bla.

Sagen wir’s so: Ich hatte eine ziemlich beschissene Silvesternacht. Irgendwann fehlte mir schließlich die Kraft, zurück ins Schlafzimmer zu laufen, sodass ich einfach auf dem ekligen Badezimmerteppich vor der Toilette liegen blieb und meinem Schicksal freien Lauf ließ. Ich dachte wirklich »das war’s jetzt.« Ich würde abnippeln, bevor ich die Ausbildung zum Divemaster je zu Ende bringen konnte. Als ich am morgen im Gruppenchat der Tauchschule las, dass wir vorsichtig sein sollten, da in den letzten Tagen vermehrt Cholerafälle aufgetreten waren, war für mich die Sache klar. Gewundert hatte es mich nicht, schließlich ist mein Körper bei den kuriosesten Krankheiten gerne ganz vorne mit am Start. Die Klinik auf Koh Tao reihte sich also in meine lange globale Krankenhaus-Testliste ein. Aber die Ärzte und Schwestern machten ihren Job super. Nach nur wenigen Tagen ging es mir besser und ich konnte wieder tauchen gehen.

Silvesternacht Koh Tao
Hier war noch alles gut
Krankenhaus Koh Tao
12 Stunden später in der Klinik

Stresstest: Der zweite Versuch

Ich hatte mächtig die Hosen voll, als der zweite Stresstest anstand. Dieses mal waren wir eine größere Gruppe – all die Mädels aus der Divemaster-Gruppe waren dabei. Ich konnte mittlerweile ohne Probleme meine Maske ausziehen, aber würde ich es auch können, wenn ich meinen Atemregler mit jemandem teilte?

»Bevor wir anfangen …«, mein Tauchlehrer blickte in die Runde. »… möchte ich den Skill gerne einmal demonstrieren. Am besten mit einer Person, die das schonmal gemacht hat. Oder fast

Ich schluckte. DAS war nicht sein Ernst. Sein Blick richtete sich auf mich, dabei hatte ich mich doch extra in die hintere Reihe gestellt.

»Jess? Wie sieht’s aus?« Doch, es war sein Ernst.

Widerwillig platzierte ich mich in die Mitte der Mädels und wir tauchten ab.

»Wenn ich jetzt wieder durchfalle …«, schoss es mir durch den Kopf, »… sind dabei auch noch alle Augen auf mich gerichtet.«

Doch bevor ich eine Chance hatte, noch nervöser zu werden, begann mein Tauchlehrer bereits mit dem Equipment-Tausch.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Erst seine Jacke.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Dann meine Jacke.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Seine Finnen.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Meine Finnen.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Er zog seine Maske aus und sah mich voller Erwartung an.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Ich zog meine Maske aus. Stieß mit seiner an, zog sie wieder über meinen Kopf.

Zwei Atemzüge für mich, zwei Atemzüge für ihn.

Ich öffnete meine Augen und sah, wie alle um mich herum jubelten.

Ich hatte es geschafft! Das stundenlange Üben im Pool hatte sich gelohnt. Und wisst ihr, wessen Stresstest jetzt im Demonstrationsvideo auf dem Instagramkanal der Tauchschule gezeigt wird? Korrekt. BAAAM!

Der letzte Test

Der Höhepunkt meiner Divemaster-Ausbildung auf Koh Tao stand allerdings noch bevor. Nachdem wir alle notwendigen Kurse assistiert und auch die theoretischen Examen hinter uns gebracht hatten, stand für Milly und mich der letzte Skill Circuit an. Der Welpenschutz war vorbei, an diesem Tag mussten wir vor Maria alle 24 Fertigkeiten fehlerfrei demonstrieren. Tobi begleitete uns zum Pool, weil er etwas Freediven üben wollte und ein paar Fotos schoss. Ich dachte mir nichts dabei und konzentrierte mich völlig auf die 24 Skills, die mich zu meiner Divemaster-Zertifizierung bringen sollten.

Zu meiner Verwunderung machten wir allerdings nur 23 Skills. Mir fiel sofort auf, welcher Skill fehlte.

»Was für ein Zufall«, dachte ich, »dass sie ausgerechnet den Masken-Skill vergessen hat.«

Zurück an der Oberfläche schien es Maria dann aber doch noch aufgefallen zu sein.

»Oh neeeeein«, sagte sie und schlug dabei die Hände über den Kopf zusammen.

»Tut mir leid Mädels, da müssen wir nochmal runter.«

Zugegeben, innerlich ärgerte ich mich schon etwas, den Maskenskill jetzt doch nochmal machen zu müssen. Auch wenn es mir nicht mehr all zu schwer fiel. Schließlich kostete er mich dennoch jedes mal ein bisschen Überwindung.

Milly und Jess beim letzten Skill Circuit in der Divemaster Ausbildung
Milly und ich beim letzten Skill Circuit

Überraschung gelungen

Als Maria das Startsignal gab, zogen Milly und ich unsere Masken ab, setzten sie wieder auf und pusteten das Wasser aus der Maske. Als ich meine Augen öffnete saß Tobi plötzlich vor mir.

»Was zur Hölle?«, schoss mir durch den Kopf. Was, wenn Maria jetzt nicht sehen konnte, wie ich den Skill machte?

Ich wollte ihn zur Seite schieben, aber er ließ nicht locker. Stattdessen griff er nach meiner alternativen Luftversorgung. Ahja, er hatte ja keine eigene Flasche. Das verwirrte mich noch mehr.

»WAS MACHST DU HIER!?«, versuchte ich ihn gestikulierend zu fragen. Ich folgte seinem Blick auf seine Hand und entdeckte einen Ring.

»Oh cool, er hat einen Ring im Pool gefunden!«, dachte ich. Tobi rüttelte an meiner Hand und steckte mir den Ring auf den Finger.

»Was…? OHHHH!« jetzt machte es klick.

Und scheinbar nicht nur bei mir, sondern auch bei Maria und Milly, die das Spektakel beobachtet hatten und nun lauthals durch ihren Atemregler kreischten.

Ich glaube, ich habe noch nie so schnell so viel Luft verbraucht, wie in diesen 3 Minuten. Aber ich war der glücklichste Mensch auf dem Planeten.

Zum Sonnenuntergang fuhren wir mit Milly und ein paar Freunden zu einem Aussichtspunkt, um auf die Verlobung anzustoßen. Oben angekommen, machten wir es uns in bunten Sitzsäcken bequem, spielten mit Hundewelpen und ließen die letzten Wochen Revue passieren. Zwischendurch hielten wir den Moment mit Erinnerungsfotos fest. Im Hintergrund die Aussicht auf jene Insel, die ich die letzten 2,5 Monate mein zuhause nennen durfte.

Wir haben uns verlobt!

Von der Angsthäsin zum Divemaster

So oft ich geflucht habe, so oft ich auch krank war, so sehr ich mich jeden Tag aufs Neue gefragt habe, was zur Hölle ich da eigentlich tat, so sehr vermisse ich die Zeit und die Menschen auf Koh Tao. Ist es nicht kurios, dass gerade jene Phasen, in denen wir mit uns selbst am härtesten ins Gericht gehen, am Ende zu unseren prägendsten Erinnerungen werden?

All die Menschen, die ich kennenlernen durfte. Die wilden Partys, die Tauchgänge, der innere Disput mit mir selbst. Ich sehe Milly, Hannes, Tobi und mich immer noch lachend vor dem Roti-Stand. Höre das ‚Yummiiie Yummmmmiie‘ der Verkäuferin, als wär’s gestern gewesen. Ich sehe uns noch immer auf den bunten Stühlen vor dem 7Eleven, wie Milly ihre Nudelsuppe schlürft und Tobi ein doppeltes Pad Thai in sich hineinschaufelt. Ich höre unsere Stimmen beim Karaoke, das Knattern des Scooters in der Nacht, den Kompressor des Tauchbootes.

In so kurzer Zeit bin ich über mich hinausgewachsen. Ich habe mein Problem mit der Maske gelöst. Vielleicht war die Reaktion des Tauchlehrers übertrieben, aber Rückblickend war es genau der Tritt, den ich gebraucht habe.

Ich kam als Angsthäsin nach Koh Tao. Ich ging als Divemaster. Unglaublich, was Passion bewirken kann.

Divemaster-Ausbildung abgeschlossen
Divemaster-Ausbildung abgeschlossen!

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