Post-Travel Depression und die Frage nach dem Warum

Zweieinhalb Jahre ist es her, dass ich mit Tobi aus Mexiko zurückkam, mit dem Rucksack auf dem Rücken geschwind eine Wohnung in Stralsund suchte und nur wenige Tage später mein Studium begann. Erstmal war da diese Verpflichtung. Nichts mehr mit Reisen, aus die Maus.*

Als ich 2017 nach Australien aufbrach, wurde mir immer wieder gesagt, wie mutig ich doch war. Einfach alles stehen und liegen zu lassen, in neue Gebiete aufzubrechen und jeden Tag ins Unbekannte hineinzuleben. Dass ich all die Dinge tat, die sich viele andere nicht trauen würden, durch Länder zu reisen, an dessen Gedanken sich meiner Mutter die Nackenhaare hochstellten. Für mich schien es unglaublich einfach, loszuziehen und das alte, vertraute zurückzulassen. Die plötzliche Freiheit zu haben und eigene Entscheidungen zu treffen. Da war niemand, der mir sagte, was ich zu tun und zu lassen hatte. So etwas hatte ich sowieso noch nie gemocht. Und sind wir mal ehrlich, so ganz alleine ist man auf Reisen auch nie.

Post-Travel Depression - es gibt sie wirklich

Post-Travel Depression

Aber was für mich viel mehr Mut erforderte als ins Flugzeug zu steigen war das Heimkommen. Zurück aus dem abenteuerlichen Leben, hinein in den Alltag, wo alles so geblieben war, wie als man es verlassen hatte, während man selbst, innerlich wie äußerlich, eine so große Verwandlung gemacht hatte. Ich musste meine Freiheit eintauschen, gar aufgeben, um meinen Platz zurück als Teil eines sozialen Konstrukts zu werden, in dem von mir erwartet wurde, dass ich genauso weiter funktionierte wie zuvor. Und ich musste mit Entsetzen Feststellen, dass es da plötzlich Dinge gab, die nicht mehr zu mir passten.

Manchmal dachte ich, dass etwas mit mir nicht stimmte.

Ich fühlte mich nicht mehr wohl unter jenen Menschen, mit denen ich einst so viel Zeit verbrachte. Meine Interessen hatten sich verändert, und ich befand mich in einer fremden Bubble, die nicht mehr zu mir gehörte, so wie ich nicht mehr zu ihr. Umgeben von Aussagen und Taten, mit denen ich mich nicht mehr identifizierte. Meine eigene Bubble war eine andere, sie befand sich in der Welt, in der Ferne.

Dieser grausamen Realität in die Augen zu schauen, den Spiegel vorgehalten zu bekommen, zu sehen, das man plötzlich nicht mehr dazugehörte, all das waren Dinge, die mich in ein tiefes Loch fallen ließen. Es gibt sie, die sogenannte „Post-Travel-Depression“. Und ich konnte nichts dagegen tun, als zusehen, wie mir alles entwich.

Die Wüste in Huaccachina, Peru. Orte wie diese vermisste ich nach meiner Heimkehr.

Eine Reisende sein

Der Grund dafür war, dass ich nicht akzeptieren wollte, dass ich eine Reisende war. Ich wollte ja nach Hause kommen, ich wollte meine alten Freunde und Verwandte wieder sehen, vertraute Orte besuchen und Dinge tun, die man eben so machte, wenn man zuhause war. Ich wollte das Gefühl nicht akzeptieren, dass sich in mir breit machte und laut um „Hilfe“ rief. Ich wollte nicht plötzlich diejenige sein, die sich „unterwegs so sehr verändert hatte“. An so etwas glaubte ich nicht. Noch nicht.

Ich wollte Gras drüber wachsen lassen. Ich versuchte immer wieder, mich in gewohnte, alte Muster zu quetschen. Lachte äußerlich, obwohl ich innerlich weinte. Abends sehnte ich mich gedanklich in die Welt hinaus. Ich begann mein Tourismus-Studium in Stralsund. Ein bisschen Meer, ein bisschen Strand. Ein bisschen Reisen, zumindest in der Theorie. Und der Ausblick aufs Auslandssemester, das Tag für Tag näher rückte.

Mit der Zeit sah ich, wie es anderen Langzeitreisenden nach ihrer Rückkehr ging. Manche, so wie mein Ex-Freund, kamen gut damit klar, waren beinahe froh, wieder zuhause zu sein. Und dann gab es da Menschen wie mich, die ihr Herz in der Ferne verloren hatten, und nun wie wandelnde Zombies durchs Leben gingen, immernoch auf der Suche nach ihrem Warum.

Ein anderes Verständnis von Leben

Mein Warum habe ich noch immer nicht gefunden. Ich habe aber akzeptiert, dass es nicht einfach so vom Himmel fällt, und schon gar nicht, wenn ich danach suche. Was ich aber auch gelernt habe ist, dass ich nicht komisch bin. Mit mir ist alles richtig. Ich bin eine von vielen. Von vielen Reisenden, denen es genauso geht. Ich bin nicht seltsam, ich bin nicht anders. Ich habe nur ein anderes Verständnis von Leben. Und ist das nicht die beste Erkenntnis? Was sagt es schon über uns aus, wenn wir stumpf das tun, was von uns verlangt wird, ohne darüber nachzudenken, welchen Sinn wir eigentlich verfolgen? Vielleicht werde ich mein Warum nie finden, und das ist auch okay so.

Denn wenn ich so zurück denke, ist alles genau so zufällig eingetreten, wie ich es in jenen Momenten gebraucht hatte. Mir fiel keine Antwort vom Himmel, aber meine Entscheidungen haben einen Weg für mich geebnet, den ich vorher nicht wusste. Ich habe keine Antwort darauf, was ich später mal machen will. Ich hasse diese Frage. Ich bin eine Reisende. Beruflich und Privat. Und das zu akzeptieren hat lange gedauert, aber es ist der Schlüssel zu mir selbst. Und vielleicht ja doch mein Warum.

Sonnenuntergang auf einem Boot bei einer Fahrt auf dem Amazonas.

*in diesem Beitrag geht es um Depression. Wenn es dir nicht gut geht, bieten folgende Stellen Hilfe an:

  • Telefonseelsorge: anonyme, kostenlose Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit unter den bundesweiten Telefonnummern (0800) 111 0 111 oder (0800) 111 0 222. Die Telefonseelsorge bietet auch eine Mail- und eine Chat-Beratung an.
  • Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe: (0800) 33 44 533. (Mo, Di, Do: 13:00 – 17:00 Uhr, Mi, Fr: 08:30 – 12:30 Uhr)
  • Diskussionsforum Depression bietet Raum für einen Erfahrungsaustausch unter Betroffenen und Angehörige.

1 comment

  1. ich kann Deine Gedanken und Erkenntnisse sehr gut nachvollziehen. Danke, dass Du das geteilt hast. Es scheint, dass Deine Puzzlestücke in die richtigen „Löcher gefallen sind“ und das freut mich 🙂 Mir geht es tatsächlich auch nach Reisen immer so, dass ich nicht „gerne heimkomme“, aber nach einer Weile finde ich ich dann wieder ganz gut zurecht. Meine Gefühle sind aber auch nicht ganz so ausgeprägt, wie Du sie hier beschreibst. Viel Spaß weiterhin beim Reisen und Teilen Deiner Erlebnisse <3.

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