Ohne Flugzeug nach Vietnam und darüber hinaus

25 Länder in 20 Monaten – und das ganz ohne Flugzeug. Was als Traum von authentisch vietnamesischem Essen begann, endete in einem unvergesslichen, klimafreundlichen Reiseabenteuer. Pauline und Ole haben es gemacht und sind per Anhalter, Fahrrad und Öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch Eurasien gereist. In diesem Artikel zeigen sie, dass es möglich ist, ohne Flugzeug nach Vietnam zu reisen, und welche Erlebnisse dieses Abenteuer bereithält.

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Pauline und Ole. In den letzten zwei Jahren sind die beiden ohne Flugzeug 60.000 km bis nach Indonesien und zurück gereist. Dabei sind sie bis nach China getrampt, haben Südostasien mit dem Fahrrad durchquert und sind per Anhalter und öffentlichen Verkehrsmitteln mit Zwischenstopps in Japan und Pakistan wieder zurück nach Hause gereist. Ihre Erlebnisse und ihre Begeisterung für das Reisen ohne Flugzeug teilen die beiden in ihrem Buch „Ohne Flugzeug in die Ferne“.

„Vietnam“, steht auf dem rechteckigen Pappschild, das wir an einem sonnigen Dresdner Aprilmorgen vertrauenswürdig lächelnd vor uns herschwenken. Unsere ausgestreckten Daumen rufen: „Nimm uns mit!“. Kurz darauf ist es so weit: Manuel und Nada, ein tunesisch-deutsches Paar, fahren uns zwar nicht bis ans andere Ende des Kontinents, aber immerhin bis nach Prag. An Tag zwei unserer Reise per Anhalter, Fahrrad und Öffis quer durch Eurasien sehen wir unser Heimatland zum letzten Mal – für fast zwei Jahre.

Ohne Flugzeug nach Vietnam, hier per Anhalter
Per Anhalter nach Vietnam

Wie alles begann

Eigentlich beginnt unsere Reise bereits acht Jahre vorher. 2017 trampen wir erstmals gemeinsam aus unserer Heimat in der Lüneburger Heide zu einem Osnabrücker Kino, das die flugfreie Reisedoku „weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt“ zeigt. Nach der Ausstrahlung strahlen auch wir – nicht ahnend, dass soeben ein Funke in uns gezündet wurde.

Etwa im gleichen Zeitraum beginnen wir, uns für den Klima- bzw. Menschenschutz zu engagieren. Einige Jahre später, während der Corona-Isolation und in der Hochphase unseres Reisedursts, rechnen wir die CO2-Emissionen eines Flugs nach Vietnam aus. Das Ergebnis lässt uns schlucken. 3,9 Tonnen emittiert ein Flug pro Passagier von Hannover nach Ho Chi Minh und wieder zurück![i] Das Vierfache eines Jahresbudgets![ii]

Für uns scheint es widersprüchlich, Länder und Leute zu besuchen – und deren Lebensraum und -grundlage allein durch unsere Anreise derart zu schädigen. Wir suchen also nach anderen Wegen zum heiß geliebten vietnamesischen Kaffee. Und landen gedanklich wieder bei dieser Reisedoku, in dem Osnabrücker Kino, 2017.

Aufbruch ins Ungewisse

Im Frühjahr 2024, nach einem knappen Jahr Vorbereitungszeit, stehen wir und unsere Tramperdaumen schließlich am Ortsausgang unserer Heimatstadt und können unser Vorhaben selbst kaum fassen: ohne Flugzeug nach Vietnam, hauptsächlich per Anhalter, und dann irgendwie über Land und Wasser zurück nach Hause. Unter unserem Abschiedsschmerz und der unterschwelligen Sorge, dass wir uns zu viel vornehmen, brodelt unsere Lust auf die Welt, aufs Unbekannte, aufs pure Abenteuer.

Unsere erste Mitfahrgelegenheit nimmt uns mit in den Nachbarort, die nächste in einen Ort weiter. Und so rückten wir Kilometer für Kilometer, in winzigen Schritten, unserem Ziel etwas näher. Nach nur sieben Tagen in donnernden LKW, dahingleitenden Tesla und allem dazwischen lassen wir die Europäische Union hinter uns. Weitere sieben Tage und literweise geschenkte Energy Drinks später überqueren wir die Grenze zum Kaukasus.

Georgien wird unser erstes Lieblingsland, Armenien unser zweites. Immer begleitet von Einladungen zu georgischem Tschatscha, also selbstgebrannten Sehrhochprozentigen, und armenischem Wodka trampen wir durch Berge und Täler in allen Tuschkasten-Farben, an einsamen Schluchten und tiefblauen Seen entlang.

Armenien Wildzeltplatz
Blick auf Armenien vom Wildzeltplatz

Den eiligen Transit durch Russland prägen verdeckte Verhöre, Zeltnächte im Wüstengewitter und herzliche Trampbegegnungen. Nach nur zwei Tagen im größten Land der Welt haben wir unseren schwierigsten Meilenstein geschafft. Wir sind im geografischen Asien angekommen.

Nah an den Menschen reisen

„Pa puti“, wird Trampen auf Russisch ausgesprochen. In den ehemaligen Soviet-Republiken erweitert sich unser Wortschatz jeden Tag fast von allein. Denn ohne Flugzeug unterwegs zu sein bedeutet, näher an den Menschen zu reisen. Das Flugzeug ist das Verkehrsmittel der Wohlhabenden und Weitreisenden. In Bus und Bahn, beim Reisen per Anhalter und auch in all den Orten dazwischen, die ein Flieger nie ansteuern würde, ist man auf die Kommunikation mit Einheimischen angewiesen. Wir genießen das sehr.

In den endlosen Steppen der Mongolei teilen wir tagelang den arbeitsamen Alltag von Truckern und deren mitreisenden Familien. Auf einem abgelegenen Wanderpfad schenkt uns eine strahlende kirgisische Jurtenbesitzerin selbstgemachte Butter und frisches Brot, während ein halbes Dutzend aufgeregter Kinder wie kleine Flummis um uns herumhüpft. In einem usbekischen Kleinbus möchte eine schnatternde Hochzeitsgesellschaft die deutschen Preise von Honig und iPhones von uns wissen – und natürlich auch ein Foto mit uns seltsam aussehenden Westlern machen.

Zelten in der Mongolei
Zelten in der Mongolei

Vor allem beim Trampen erleben wir gleichzeitig auch weniger schöne Seiten. Pauline wird mehrfach unter die Nase gerieben, wie schlau kirgisisch-deutsche Kinder doch bestimmt wären und dass sie bestimmt im Land bleiben würde, sollte sie sich – rein hypothetisch natürlich – in einen Kirgisen verlieben. Wir werden immer wieder voller Unverständnis gefragt, warum wir nicht verheiratet sind und, vor allem, keine Kinder haben. Während diese Begegnungen nicht unbedingt angenehm sind, saugen wir sie dennoch dankbar auf. Sie geben uns ein vollständigeres Bild einer vielschichtigen Region; lassen uns gesellschaftliche und kulturelle Prozesse, die Lebensrealität vieler Menschen, besser nachvollziehen.

Am anderen Ende der Welt

Nach einem halben Jahr Reise durch himmelhohe Berge, durch Städte voller Kunstwerke, auf endlosen Wüstenwegen und unter fremden Menschen, die überraschend schnell gar nicht mehr fremd sind, haben wir es geschafft. In unserem Glücksrausch tanzen wir förmlich über die vietnamesische Grenze. Wir sind tatsächlich komplett ohne Flugzeug ans andere Ende des Kontinents gereist!

Ohne Flugzeug nach Vietnam: Ziel erreicht!
Ziel erreicht: Die Reisterassen von Vietnam – ganz ohne Flugzeug

Und was uns noch glücklicher macht: Wir lernen nach und nach immer mehr Reisende kennen, die ebenfalls ausschließlich über Land und Wasser unterwegs sind. Die die gleichen Themen bewegen wie uns. Welche die Wurzeln einer wachsenden Gemeinschaft bilden.

Während wir in Vietnam auf zwei Rädern durch sattgrünen, dichten Dschungel rollen und wilde Affen sich neben uns durchs Geäst schwingen, versuchen wir, uns mit diesen Gleichgesinnten zu vernetzen. Wir gründen eine WhatsApp-Gruppe für Menschen, die flugfrei unterwegs sein möchten. Schnell tauschen sich dort über 300 Reisende aus, die aus den unterschiedlichsten Gründen auf dem Boden bleiben: für die Umwelt, für die Menschen, für das Abenteuer, für die Leistung, für die Langsamkeit, wegen ihrer Flugangst, weil sie mit Rad oder Hund unterwegs sind.

Mit dem Fahrrad durch Thailand
Mit dem Rad durch Südostasien, hier im Kao Sok Nationalpark in Thailand

Von Vietnam, unserem anfänglichen Sehnsuchtsziel, geht es für uns weiter durch den Südosten Asiens, später nach Japan und Südkorea und schließlich über Pakistan zurück nach Hause.Im Laufe unserer Reise merken wir immer stärker: Wir lieben das, was wir tun. Wir lieben das Langsamreisen; die sanfteren, detaillierteren Übergänge zwischen unterschiedlichen Landschaften und Kulturen; die Begegnungen beim Trampen, in abgelegenen Dörfern und in Öffentlichen Verkehrsmitteln. Wir lieben es, abseits der Massen unterwegs zu sein und uns für jeden Ort die Zeit nehmen zu können, die wir uns nehmen möchten. Nicht zu fliegen ist für uns eine Bereicherung.

Pakistan Attabad See
Der Attabad See in Pakistan – Ein Naturwunder

Die nächste Reise

Wenn du mehr übers Überlandreisen erfahren und wissen möchtest, wie du selbst ohne Flugzeug (fast) jeden Ort der Welt erreichst, bestelle gerne unser Buch „Ohne Flugzeug in die Ferne“ vor.

Der oekom verlag, der größte nachhaltige Verlag im deutschsprachigen Raum, veröffentlicht unser Buch – wenn wir mit genug Vorbestellungen zeigen können, dass das Interesse am Thema Reisen ohne Flugzeug groß genug ist. Wir sind also auf deine Unterstützung angewiesen. Sollte das Buch nicht publiziert werden können, erhältst du dein Geld natürlich zurück.

Alle Informationen dazu findest du hier. Danke für deine Unterstützung und gute Reise – wo immer es für dich hingeht.

Buchcover "Ohne Flugzeug in die Ferne"

[i] https://germany.myclimate.org/de/flight_calculators/new

[ii] https://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/wie-hoch-sind-die-treibhausgasemissionen-pro-person

Fotos & Text: Pauline Kalender & Ole Henner Maaß 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Close

freigereist

Blog für nachhaltiges Reisen

©2024 freigereist. All rights reserved.
Close